Gebt den Kindern das Kommando - und den Eltern die Kontrolle?
Let the Children Take Command, and the Parents Have Control? (english version of the article)In einer gemeinsamen Veranstaltung des Deutschen Kinderhilfswerks, der E-Plus Gruppe und der Stiftung Digitale Chancen haben am 12. November Kinder und Erwachsene im BASE_camp in Berlin darüber diskutiert, welche Rolle das Mobiltelefon im Alltag spielt.
Zunächst stand der Blick von Kindern im Mittelpunkt. Warum ist das Mobiltelefon so wichtig? Dürfen Eltern alles wissen, gibt es Handyverbote oder elterliche Kontrollen? Im Vorfeld der Veranstaltung hatten knapp einhundert Kinder an einer Onlinebefragung teilgenommen und den Satz „Mein Handy ist mir wichtig, weil…“ vervollständigt. Darüber hinaus haben Kinder sich in einem Video zu ihrer Mobilfunknutzung geäußert. Die Ergebnisse sind zu finden unter Diskussion. Sie bildeten die Grundlage der Diskussionen in der Veranstaltung.
Bereits am Nachmittag hatte eine Gruppe von Kindern das BASE_camp erobert und mit dem Medienpädagogen Julian Kulasza (WeTeK Berlin gGmbH) im Rahmen des Projektes "Medienkompetenz in Pankow von 0 auf 100!" einen Workshop zur Handynutzung durchgeführt, um sich auf die Diskussion mit den erwachsenen Expertinnen und Experten vorzubereiten. Zum Einstieg berichteten die Kinder auf Fragen des Moderators Ingo Dubinski, was sie im Workshop erarbeitet hatten und wie wichtig für sie selbst ihr Handy ist.
Spiele spielen, telefonieren und SMS verfassen sind für die Kinder die wichtigsten Gründe für die Handynutzung. Viele äußerten den Wunsch, ein modernes Smartphone zu besitzen, da sie in ihrer Klasse "mit Tastenhandys nicht gut ankämen".
Das Handy als Statussymbol unter Kindern war anschließend auch Gegenstand der Diskussion mit Expertinnen und Experten. Prof. Hans Joachim von Gottberg (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) hob die Aufgabe der Medienerziehung in der Familie hervor und betonte, dass ein angemessener Umgang mit den Geräten von den Eltern vermittelt werden sollte. Isabell Rausch-Jarolimek (fragFinn e.V.) stellte das von ihr betreute Angebot fragFinn.de vor, das auf einer Whitelist von geprüften Webseiten beruht und jüngeren Kindern einen sicheren Surfraum bietet. Prof. Dr. Herbert Kubicek (Stiftung Digitale Chancen) begrüßte den pädagogischen Ansatz, da die heute verfügbare Jugendschutzsoftware oft den Zugang zu für Kinder ungeeigneten Inhalten nicht zuverlässig verhindern kann. Er stellte die aktuellen Ergebnisse des EU-Projekts „SIP Benchmark III“ vor, bei dem die Filter-Effektivität und Gebrauchstauglichkeit von Jugendschutzprogrammen untersucht wird. Aufgrund der ständig steigenden mobilen Internetnutzung wurde im letzten Testzyklus ein besonderer Fokus auf Software für mobile Endgeräte gelegt. Harald Geywitz (E-Plus Gruppe) ergänzte, dass die Filterung bei diesen Produkten sich in der Regel nur auf browserbasierte Inhalte beziehe; Apps, die vor allem bei jungen Nutzern sehr beliebt sind, blieben dabei aber völlig unberücksichtigt. Professor Kubicek betonte die Notwendigkeit des Gesprächs von Eltern und Kindern. Der Spagat zwischen Privatsphäre und elterlicher Aufsichtspflicht sei nicht einfach zu bewältigen, aber der Einsatz von technischen Jugendschutzinstrumenten dürfe nur im Einvernehmen stattfinden, ansonsten drohe ein nicht wieder gut zu machender Vertrauensverlust.
Alle Expertinnen und Experten hoben hervor, dass das Internet für Kinder sowohl Chancen als auch Risiken bereithalte. Technischer Jugendmedienschutz kann die sichere Onlinenutzung von jüngeren Kindern unterstützen. In erster Linie müssen Kinder jedoch Medienkompetenz erwerben, um Gefahren im Netz selbst zu erkennen und einschätzen zu können.
Die Eltern sollten mit ihren Kindern gemeinsam im Netz surfen und mit ihnen aktiv über deren Internetnutzung und Vorlieben sprechen. So können sie Einblick in ihr Verhalten gewinnen, die Kinder über mögliche Gefahren informieren und ihnen einen sicheren Umgang im Netz aufzeigen. Nicht alle Eltern sind allerdings dazu in der Lage, oft fehlt selbst ausreichende Medienkompetenz, um sich auf einen Austausch mit den technisch zumeist versierteren Kindern einzulassen, und vielfach ist das Bewusstsein für die Chancen und Risiken der Internetnutzung nicht vorhanden. Die Experten wiesen auch darauf hin, dass gerade für ältere Kinder Filtersoftware kein geeignetes Schutzinstrument darstellt, da viele der Produkte leicht auszuschalten oder zu umgehen sind. Da die Internetnutzung mit mobilen Endgeräten zunehmend außerhalb des elterlichen Einflussbereichs stattfindet, ist ein konstruktiver Dialog zwischen den Erziehungsverantwortlichen und den Jugendlichen gefordert.
Der Handy-Guide
des Deutschen Kinderhilfswerks, der auch online zur Verfügung steht, kann als Gesprächsanlass dienen und die Eltern bei der Kommunikation mit ihren Kindern unterstützen.
Welche Rolle die Politik bei Fragen der Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen übernehmen kann, war das Thema von Özcan Mutlu (MdB, Bündnis90/Die Grünen). Er sprach über eine strukturelle Verankerung der Medienkompetenzförderung bereits in der Ausbildung der Lehrkräfte sowie in den Lehrplänen. Isabell Rausch-Jarolimek wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es nicht ein Fach für Medienerziehung geben sollte, vielmehr sei Medienkompetenzförderung eine Querschnittsaufgabe, die in allen Unterrichtsfächern verankert werden müsste.
In der Schlussrunde erläuterte Sabine Frank (Leiterin Jugendschutz und Medienkompetenz Google GmbH) das Konzept des so genannten 'supervised user', das derzeit in einer Betaversion von Chrome durch Google erprobt wird und künftig auch für mobile Endgeräte weiterentwickelt werden soll.
Es basiert auf der Annahme, dass unerfahrene Nutzer - Kinder, aber auch ältere Menschen - durch eine andere Person in ihrer Nutzung unterstützt und begleitet werden, die den Zugang zu Internetinhalten steuern und schrittweise erweitern kann. Sie unterstrich die Bedeutung der Vermittlung von Medienkompetenz und den deutlichen Bedarf an Medienerziehung in Schule und Familie. Julian Kulasza berichtete aus Sicht der praktischen Medienarbeit. Für Kinder und Jugendliche sind Computer und Handy Alltagsgegenstände und das Internet Teil ihres Lebens. Deshalb müsse sich auch die Kinder- und Jugendarbeit dem Thema stellen, so Kulasza. Derzeit gebe es eine verstärkte Nachfrage von Schulen nach Beratung und Workshops zu Problemen der Internetnutzung wie zum Beispiel Cybermobbing. Holger Hofmann (Deutsches Kinderhilfswerk e.V.), unterstrich die Notwendigkeit medienpädagogischer Maßnahmen. Dafür müsste Finanzierung in ausreichender Höhe bereitgestellt werden, um Kindern und Jugendlichen auch in Zukunft ein sicheres Onlineerlebnis zu ermöglichen.
SIP Benchmark III
Die Europäische Kommission hat das Thema der Internetsicherheit sehr erfolgreich auf der Agenda der EU und der Mitgliedsstaaten durch die seit 1996 aufgelegten Safer Internet Programme verankert.
Ziel der Studie war es, Eltern und anderen Erziehungsverantwortlichen Unterstützung zu geben und insbesondere das Bewusstsein für das Vorhandensein von technischen Jugendschutzangeboten zu wecken, sowie Beispiele guter Praxis bekannt zu machen.
Weitere inhaltlich zusammenhängende Materialien finden Sie hier.
- Verwandte
Themenbereiche: - Jugendschutz, Medienkompetenz, Mediennutzung durch Kinder / Aktivitäten für Kinder, Mediennutzung durch Jugendliche / Aktivitäten für Jugendliche, Technische Unterstützung, Datenschutz, Usability, Online-Sicherheit