Offline lesen, Online erzählen - Leseförderung mit digitalen Medien
Johanna Lambertz, Carolin Müller-Bretl und Julia Schabos, Stiftung Digitale Chancen / dbv
Quelle: Magazin KULTURELLE BILDUNG Nr. 13 zum Thema digitale Medien/CC BY-SA
Kinder und Jugendliche wachsen in einer konvergenten Medienwelt auf. Digitale Angebote spielen dabei eine immer größere Rolle für die Entwicklung der Persönlichkeit und bei der Identitätsbildung der so genannten Digital Natives. Dabei unterscheiden sich die Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Geräten für Kinder und Jugendliche von Eltern mit formal niedriger oder höherer Bildung nicht (vgl. Vorlesestudien 2012/2013). Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilhabe an unserer schriftkulturell geprägten Gesellschaft ist die Lesekompetenz. Dies gilt auch für die kompetente Nutzung von digitalen Medien. Verschiedene Studien zeigen bereits seit Jahren einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem sozial- und bildungsbenachteiligten Umfeld von Kindern und Jugendlichen und ihrer Lesekompetenz, welche bei dieser Zielgruppe eher unterdurchschnittlich ausgeprägt ist (vgl. PISA 2012, IGLU 2011).
Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, vertritt das Projekt "Lesen macht stark: Lesen und digitale Medien" den Ansatz, die klassische Leseförderung mit dem Einsatz digitaler Medien zu verbinden und den Lesebegriff zu erweitern. Ziel ist es, die Potenziale aller Lesemedien zu erkennen und zu nutzen, ohne digitale Medien dabei in Konkurrenz oder im Gegensatz zu den gedruckten Medien zu stellen. So ist es nur kohärent, über das typische Mediennutzungsverhalten sozial- und bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher einen Weg zur Leseförderung zu finden und die Freude am Lesen zu wecken.
Lesen macht stark: Lesen und digitale Medien
Das Projekt "Lesen macht stark: Lesen und digitale Medien", welches der Deutsche Bibliotheksverband in Zusammenarbeit mit der Stiftung Digitale Chancen im Rahmen des Förderprogramms "Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung konzipiert hat, ist darauf ausgerichtet, spielerisch die Lesefähigkeit von Kindern und Jugendlichen zu fördern, die nicht von Haus aus an das Lesen herangeführt werden. Durch die Verwendung digitaler Medien werden deren Interessen und Lebenswelten altersgemäß aufgegriffen und eine Brücke zur Leseförderung geschlagen. Ziel ist die Steigerung der Lesekompetenz über die gleichzeitige Förderung der Medienkompetenz der jungen Zielgruppe.
Lokale Bündnisse aus Bibliotheken und anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Kulturellen Bildung und der Leseförderung sprechen mit sechs unterschiedlichen Aktionen Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 18 Jahren an. Ausgangspunkt der Aktionen ist immer ein (vor-)gelesener Text, der mit digitalen Medien - sei es über das Internet, Smartphones oder Tablets - weiterentwickelt wird. Bei der Ausgestaltung der Aktionen kommt das pädagogische Konzept des Projektlernens zum Einsatz. Die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen werden sowohl an der Themenfindung als auch an der Lernzielfestlegung beteiligt, wobei ihre subjektiven Interessen und die Ich-Stärkung im Mittelpunkt stehen. Zentral ist dabei die praktische und kreative Arbeit im Team, wodurch Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Voraussetzungen gleichermaßen von den Angeboten profitieren und so Bildungsunterschiede ausgeglichen werden können. Kombiniert wird diese Herangehensweise mit dem außerunterrichtlichen Ansatz der Freizeitpädagogik, der sich bewusst von schulischen Bildungsangeboten abgrenzt und eine selbstbestimmte und freiwillige Teilnahme der Kinder und Jugendlichen sicherstellt.
Bei "Lesen macht stark: Lesen und digitale Medien" spielen Bibliotheken als Bündnispartner eine wesentliche Rolle. Nonformale Angebote für Kinder und Jugendliche gehören zu deren Kernaufgaben und längst geht es dabei nicht mehr allein um klassische Leseförderung. Durch das Projekt haben Bibliotheken die Gelegenheit, bewährte Veranstaltungsformate digital anzureichern und mittels der neuen Möglichkeiten cross-medial zu arbeiten. Alle Aktionen werden lokal und von mindestens drei Institutionen gemeinsam umgesetzt. Ehrenamtlich Tätige unterstützen dabei die Bündnispartner bei der Umsetzung. Die Stiftung Digitale Chancen führt begleitend eine bundesweite, kostenlose Qualifizierungskampagne durch, in der die Ehrenamtlichen medienpädagogisch weitergebildet werden. Ziel ist neben der Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements auch die nachhaltige Vernetzung der beteiligten Akteure vor Ort.
Gefällt mir! Das Projekt in der Praxis
Wie vielfältig und kreativ das (medien-)pädagogische Konzept des Projekts von den Bündnissen vor Ort umgesetzt wird, zeigt beispielhaft die unterschiedliche Ausgestaltung der vorgegebenen Projektaktionen: Kinder im Alter von neun bis zwölf Jahren entwickeln, aufbauend auf einer gemeinsam gelesenen Geschichte, eine eigene Fotostory. Über die Nutzung eines Tablets wird das Interesse an digitalen Medien und Anwendungen aufgegriffen.
Es dient den Kindern je nach Projekt als Foto- und Videokamera, Bildbearbeitungsprogramm oder Textwerkzeug. Ein Bündnis aus Berlin-Hohenschönhausen hat sich unter Federführung der Anna-Seghers-Bibliothek dafür entschieden, den eigenen Kiez und dessen Entwicklung in den Fokus zu rücken. Auch die gelesene Geschichte thematisierte die Erlebnisse und Abenteuer von Kindern einer Stadtrandsiedlung. Inspiriert durch das Gelesene, haben die Kinder den Vergleich gezogen, sich mit ihrer eigenen Wohn- und Lebenssituation auseinandergesetzt, und schließlich eigene Geschichten rund um den Bezirk entwickelt. Die Fotogeschichten wurden Teil der Jubiläumsfeierlichkeiten des Bezirks "30 Jahre Hohenschönhausen".
"Jeder kann etwas besonders gut!", lautete hingegen der Grundsatz des Bündnisses rund um die Stadtbibliothek Neukirchen-Vluyn. Das Hauptaugenmerk lag auf den Kindern selbst, die sich unter Anleitung mit ihren Interessen auseinandersetzten und über die Fragestellungen "Was kann ich gut?" und "Wie kann ich es gut erklären?" ihre persönlichen Stärken ermittelten. Anstatt der Fotostories wurden mit dem Tablet kurze Videotutorials erstellt. Wie man ein Pferd richtig sattelt, einen Roboter baut, die Nägel lackiert oder die besten Pommes macht - jedes Talent war wichtig.
Anhand beider Beispiele zeigt sich anschaulich, dass die Orientierung an der Lebenswelt und den thematischen Interessen der Kinder und Jugendlichen diese zur eigenständigen Weiterentwicklung von Geschichten motivieren kann. Über die ihnen vertraute Nutzung digitaler Medien und bekannter medialer Formate, wie Fotos und Videos, finden sie über die medienpraktische Arbeit einen leichten und spielerischen Zugang zum Lesen: Das (Vor-)Gelesene bietet dabei den kreativen Input für die Erarbeitung von Storyboards, Interviewfragen und ähnlichen Texten. Bei der Entwicklung einer Dramaturgie und der visuellen Umsetzung haben die Kinder zudem die Möglichkeit, die Arbeitsbereiche untereinander selbstständig nach individuellen Stärken und Vorlieben aufzuteilen. Dabei steht vor allem der Spaß im Vordergrund - denn schließlich ist es Freizeit!
Weitere Informationen:www.lesen-und-digitale-medien.de
LITERATUR
Bos, Wilfried/Tarelli, Irmela/Bremerich-Vos, Albert/Schwippert, Knut (Hrsg.) (2012): IGLU 2011 - Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im Internationalen Vergleich. Waxmann Verlag, Münster/New York/München/Berlin
Prenzel, Manfred/ Sälzer, Christine/Klieme, Eckhard/Köller, Olaf (Hrsg.) (2013): PISA 2012 - Fortschritte und Herausforderungen in Deutschland. Waxmann Verlag, Münster/New York/München/Berlin
Stiftung Lesen (2012): Vorlesestudie 2012. Digitale Angebote - neue Anreize für das Vorlesen? Repräsentative Befragung von Eltern mit Kindern im Alter von 2 bis 8 Jahren. Eine Studie der Stiftung Lesen, der Deutschen Bahn und der ZEIT. Mainz.
Stiftung Lesen (2013): Vorlesestudie 2013. Neuvermessung der Vorleselandschaft. Repräsentative Befragung von Eltern mit Kindern im Alter von 2 bis 8 Jahren. Eine Studie der Stiftung Lesen, der Deutschen Bahn und der ZEIT. Mainz.
Jede Änderung, Anpassung oder Erweiterung des Originalmaterials gibt ausschließlich die Perspektive derjenigen Person oder Personen wieder, die für diese Änderung, Anpassung oder Erweiterung verantwortlich sind.
Die Print-Version des Artikels sowie das gesamte Magazin KULTURELLE BILDUNG Nr. 13 zum Thema digitale Medien erhalten Sie über den Online-Shop der BKJ.
Lesen macht stark
Ziel des Projektes Lesen macht stark: Lesen und digitale Medien der Stiftung Digitale Chancen ist die Leseförderung mit digitalen Medien von sozial- und bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen von drei bis 18 Jahren.Weitere inhaltlich zusammenhängende Materialien finden Sie hier.
- Verwandte
Themenbereiche: - Medienkompetenz, Förderprogramme auf Bundesebene, Mediennutzung durch Kinder / Aktivitäten für Kinder, Mediennutzung durch Jugendliche / Aktivitäten für Jugendliche, Medienpädagogische Konzepte, Medienpädagogische Projekte, Akademikerinnen und Akademiker, Medienkompetenz, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, Digitale Inklusion